Sieben Fragen an das Lotus Quartett
Was muss ein Quartett mitbringen, um über 30 Jahre hinweg einträchtig zusammen zu musizieren?
Ausdauer ist wichtig, auch Streitkultur. Geduld natürlich und vor allem Toleranz. Die gemeinsame Arbeit spielt sich auf einer derart persönlichen Ebene ab – da muss die Chemie zwischen allen Beteiligten einfach stimmen. Vertrautheit und ein gemeinsames Musikverständnis sind essentiell. Das bedeutet auch, die Persönlichkeit jeder und jedes Einzelnen so anzunehmen, wie sie ist.
Wie habt Ihr Euch gefunden, damals 1992?
Tomoko Yamasaki, unsere Bratschistin, und ich, Chihiro Saito, waren auf Einladung des japanischen Kultusministeriums und mehrerer Botschaften als Klavierquartett auf Südamerika-Tournee. Nach der Reise wollten Tomoko und ich unbedingt weiter gemeinsam Musik machen. Obwohl Tomoko bereits eine Stelle als Solo-Bratscherin beim Osaka Century Orchestra hatte, gab sie diese auf und zog nach Tokyo, wo die beiden Geigerinnen und ich gerade ein Quartett gründen wollten. Der Name Lotus Quartett war übrigens die Idee der Herren vom Amadeus Quartett, mit denen wir 1992 abends während eines Kurses bei einem Glas Wein zusammensaßen. Norbert Brainin und seine Kollegen waren der Ansicht, der Name sollte weibliche und zugleich japanische Assoziationen hervorrufen – das würde uns helfen, international Karriere zu machen. Natürlich hielten wir diese Vorstellung für reichlich klischeehaft. Als brave japanische Studentinnen trauten wir uns nicht zu widersprechen. Im Laufe der Jahre haben wir den Namen dann aber doch recht liebgewonnen ...
Seit März 2022 ist Swantje Tauscher Zweite Geigerin bei Euch. Wie ist die Neubesetzung vonstatten gegangen?
Wir wussten schon etwas länger, dass Mathias Neundorf nach rund anderthalb Jahrzehnten im Quartett andere Lebensprioritäten setzen wollte. So haben wir die Pandemie genutzt, um in aller Ruhe nach einem neuen Mitglied zu suchen. Und es hat geklappt: Swantje ist die Beste der Besten für uns – wir sind überglücklich, alle vier! Als exzellente Konzertmeisterin hegte sie schon lange den Wunsch, professionell Quartett zu spielen. Fast wie bei einer Partnerschaft, hat es gleich bei der ersten Begegnung zwischen uns geklickt. Schon zu Beginn der gemeinsamen Probenarbeit haben wir gespürt, dass wir den gleichen musikalischen Wurzeln entstammen. Auch für Swantje waren ja das Melos Quartett und Rainer Schmidt vom Hagen Quartett prägende künstlerische Einflüsse.
Wie klingt Ihr? Was macht Euch aus als Quartett?
Wir alle spielen alte italienische Instrumente, deren Zusammenklang Wärme und Fülle hervorbringt. Neben diesem „Sound“ sind es vor allem die genannten Prägungen durch eine ebenso profunde wie sinnliche deutsch-österreichische Quartetttradition, die sich auf interessante Weise mit unserer japanischen Sozialisation verbindet. Rainer Schmidt hat uns die altmodische und doch so wichtige Forderung mitgegeben, stets nach der Schönheit in der Musik zu suchen.
Spielen vier Frauen anders als vier Männer oder eine gemischte Formation?
Schwer zu sagen – wir glauben es eher nicht. Nicht das Geschlecht ist entscheidend für eine erfolgreiche Zusammenarbeit als Quartett, sondern die Individualität der Menschen und vor allem ihre Toleranz. Es ist so wichtig, offen für andere Ideen zu sein und gefestigte Meinungen zu überdenken, um neue Interpretationsansätze auszuprobieren.
Stimmt es eigentlich, dass das Streichquartett die edelste Gattung der klassischen Musik ist?
„Vollkommenheit der Vierstimmigkeit“, so hat Goethe 1829 seine Gedanken zum Streichquartett formuliert: „Man hört vier vernünftige Leute sich unterhalten, glaubt ihren Diskursen etwas abzugewinnen und die Eigentümlichkeiten der Instrumente kennen zu lernen.” Seit Joseph Haydn, der die Gattung erfunden und für spätere Meister die Maßstäbe aufgestellt hat, ist das Quartett eine Konstellation, die sowohl den Ausführenden wie auch den Komponisten viel abverlangt: genaue Kenntnisse der technischen Voraussetzungen und Ausdrucksmöglichkeiten der verschiedenen Instrumente, sowie das Geschick, sie im gemeinsamen „Gespräch“ in ihrer Eigenart zur Geltung zu bringen und zugleich ein Ganzes zu formen. Es ist beglückend, wenn man als Musikerin oder Musiker im Quartett genau den passenden Platz findet, so dass eine strukturierte und differenzierte Einheit entsteht, eine gemeinsame Schwingung, die auch das Publikum erleben kann.
Wohin soll Euch Euer Weg in den nächsten Jahren führen?
Nach New York natürlich, in die Carnegie Hall! Aber im Ernst: Wir schätzen es am meisten, wenn im Konzert ein feiner Energieaustausch zwischen uns und den Zuhörenden entsteht und wir es schaffen, die Botschaft der Musik ins Herz der Hörer zu tragen. Natürlich sind tolle, prestigeträchtige Spielstätten ein großer Anreiz. Es kann aber auch ein intimes Hauskonzert sein, das uns als Musikerinnen erfüllt.
Interview: Anselm Cybinski